Ernährungsstrategie der Bundesregierung: Auch ohne „Verbote“ gezielte Lenkung!

Mit ihrer Ernährungsstrategie sendet die Bundesregierung eine klare Botschaft an die Bevölkerung, welches Essverhalten gewünscht ist

Er wolle den Menschen nicht vorschreiben, was sie essen sollen, wiederholt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Doch die vielfachen politischen Initiativen für „pflanzenbetontes“ Essen und insbesondere die Ernährungsstrategie der Bundesregierung senden eine klare Botschaft an die Bevölkerung, welches Essverhalten politisch gewünscht ist.

Es war wohl der Versuch, als leuchtendes Beispiel für die Ernährungsmission der Bundesregierung voranzugehen – und er ging nach hinten los. Vor kurzem brachte eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag zutage, dass bei Veranstaltungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) in der Regel nur noch vegetarische Gerichte, und zwar aus 100 Prozent ökologischer Produktion, angeboten werden dürfen. Für eine Verpflegung mit Fleisch bei Hausveranstaltungen bedarf es Medienberichten zufolge einer internen Sondererlaubnis. Im Bundesumweltministerium (BMUV) sowie im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wird es ähnlich gehandhabt.

In Medien und Politik entbrannte daraufhin eine hitzige Debatte um das vermeintliche Fleischverbot im kompletten BMEL-Betrieb, das angeblich in diesem Ausmaß nicht zutrifft. Dennoch: „Die Initiative passt ins Bild einer ideologisch getriebenen Agrarpolitik mit erhobenem Zeigefinger – und zwar in Richtung aller, die aus Überzeugung, Tradition oder einfach Freude am Genuss Fleisch essen und dies auch weiterhin tun wollen“, kritisiert Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Der Minister sende damit nicht zuletzt „ein verheerendes Signal an heimische Geflügelfleischproduzenten, die seit Jahr und Tag die Ernährung der Bevölkerung mit einem wertvollen, verantwortungsbewusst produzierten Lebensmittel sichern“.

 „Änderung von Ernährungsweisen“ ist Teil des Programms

Das Fundament dieser Agrarpolitik findet sich im Koalitionsvertrag: Darin kündigt die Bundesregierung eine sogenannte Ernährungsstrategie an, mit der eine „gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung“ geschaffen werden soll. In diesem Zusammenhang ist unter anderem das Ziel aufgeführt, „den Anteil regionaler und ökologischer Erzeugnisse entsprechend unserer Ausbauziele (Anm. d. Red: 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030) zu erhöhen“. Die Bundesregierung will außerdem „pflanzliche Alternativen“ stärken und sich für die „Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU“ einsetzen.

Laut BMEL soll „die Änderung von Ernährungsweisen auch einen wesentlichen Beitrag zum Klima- und Artenschutz leisten“. Besonders im Auge hat die Politik hier die Gemeinschaftsverpflegung, etwa in Kitas, Schulen, Mensen und Kantinen, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern. „Die außerhäusliche Verpflegung soll auf diesem Weg als Vorbild für gesunde Ernährung wirken und stärker pflanzenbetont aufgebaut sein.“ Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) steuert hierfür demnächst die „lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen“ bei, die in der Gemeinschaftsverpflegung verpflichtend umgesetzt werden müssen.

„Bürgerrat Ernährung und Wandel“ soll beteiligt werden

Die Eckpunkte für die Ernährungsstrategie hat das Kabinett Ende 2022 beschlossen, Ende dieses Jahres soll sie verabschiedet werden. Um die Entwicklung der konkreten Leitlinien und Maßnahmen auf eine „breite gesellschaftliche Basis“ zu stellen, soll ein wissenschaftlich begleiteter „Bürgerrat Ernährung im Wandel“ aus 160 ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern voraussichtlich ab September über diese Themen diskutieren und dem Bundestag im Februar 2024 ein „Bürgergutachten“ dazu vorlegen.

„Wenn sie es mit dieser Bürgerbeteiligung ernst meint, muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass der Rat a) einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abbildet und b) dessen Meinung auch wirklich gehört wird“, sagt ZDG-Geschäftsführer Schleicher. Für die breite Bevölkerung sei entscheidend, aus einer Angebotsvielfalt von – bezahlbaren – Lebensmitteln, inklusive Fleisch, auf Basis transparenter Informationen bewusst wählen zu können. „Und das geht nur, wenn die Politik auch die versprochene umfassende Herkunftstransparenz bei Fleisch herstellt – doch hier zeigt sie leider nicht annähernd das gleiche Tempo wie bei ihrer Ernährungsmission“, so Schleicher. Aus seiner Sicht ist die Agrarpolitik bislang nicht von den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerungsmehrheit getrieben, sondern von den Interessen einer überschaubaren Öko-Klientel.

Eine Realitätsferne, die zulasten des Tierhaltungsstandorts Deutschland geht – und die das BMEL auch bei seiner Veranstaltungs-Speiseplan-Initiative zu spüren bekommt: Laut Bericht von agrarheute hat das BMEL wegen seiner strengen Catering-Vorgaben keinen Betreiber für seine Berliner Cafeteria mehr. „Auf die eng gefassten Vorgaben der Ausschreibung hat sich bislang niemand erfolgreich beworben.

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